Dieses alte Handbuch der Liebe bietet, abgesehen von den vielen akrobatischen Stellungen, einige seltsame und wunderbare, aber auch überraschend brauchbare Tipps für moderne Liebende.

Als ich vor vielen Jahren an der Kunstakademie im Rahmen eines Projektes das Kamasutra untersuchen sollte, hatte ich erwartet, auf eine endlose Liste mit komplizierten Sex-Stellungen zu stoßen – und musste an Get Off von Prince denken: 23 positions in a one night stand. Doch das fast 2000 Jahre alte philosophische Werk des Kamashastra, der Wissenschaft der Liebe, stellte sich als ein hinduistisches Liebeslehrbuch heraus, und zwar eines mit einer universellen und zeitlosen Botschaft: Sex ist das heilige Geschenk einer höheren Macht, lebenswichtig und die Erforschung mehr als wert.

Gewiss, ein Großteil des Textes ist veraltet und kulturgebunden, bisweilen sexistisch und Gewalt diktierend – nein, eine Frau gegen ihren Willen zu schlagen ist NIEMALS okay! – und an manchen Stellen regelrecht komisch. Was halten Sie zum Beispiel von diesem äußerst fragwürdigen Ratschlag: „Streuen Sie eine Mischung aus pulverisierten Stacheln der Seidenpflanze, Affenkot und Knollen der Prachtlilie auf eine Frau. Sie wird mit keinem anderen Sex haben wollen.“ (Sie glauben mir nicht? In diesem Taschenbuch von Malika Favre mit einem wundervollen Cover steht’s

Einige Ideen haben den Test der Zeit jedoch überstanden:

- Sex ist heilig: In unserer Wegwerfgesellschaft, in der man so ziemlich alles kaufen kann, vergessen wir manchmal, dass Sex so viel mehr ist als einfach jemanden abzuschleppen. Wenn zwei Menschen sich beim Sex gegenseitig öffnen, entsteht ein heiliges Band. Das Kamasutra beschreibt es so: „Sobald der Gipfel der Lust erreicht wird, verschwindet sowohl die innere als auch die äußere Welt. Der Mann und die Frau sind nicht länger separate Einheiten und sie verlieren sich in der Seligpreisung des Seins.“ Na, wenn das nicht sexy ist!

- Wissen = Macht = Sexy: Wenn das Kamasutra Ratschläge gibt, wie man eine „begehrenswerte Frau“ wird, schlägt es Frauen vor, schon vor der Ehe „alle notwendigen Formen der Kunst“ zu erlernen – das reicht vom Lesen über weltliche Angelegenheiten bis hin zum Bespielen eines Instruments oder dem Wissen, wie ein Bett zu machen ist. Und natürlich sollte sie die 64 Liebespositionen, für die das Kamasutra so berühmt ist, genauestens studieren! Es klingt vielleicht furchtbar altmodisch, doch ich mag den Gedanken, dass ein vielseitiger, gut ausgebildeter und reifer Mensch einfach attraktiver ist. Mein ganz persönliches Motto: Sport ist toll, aber das gilt auch für Lesen!

- Küssen ist eine Kunst (genau wie Kratzen!): Meiner Meinung nach gehört Küssen zu den intimsten Dingen zwischen Liebenden. In gewisser Weise kann leidenschaftliches Küssen intensiver sein als Geschlechtsverkehr – etwas, das wir so manches Mal als ganz selbstverständlich hinnehmen. Deshalb finde ich es richtig gut, wie das Kamasutra Küssen zur Kunst erhebt. Küsse werden in mehrere Kategorien unterteilt und allein bei unerfahrenen Mädchenküssen werden schon drei Arten unterschieden: der gemessene, der zuckende und der stoßende Kuss. Außerdem werden im Hinblick auf das Küssen spezielle Körperstellen wie die Klitoris, die Haare und die Innenseite des Mundes genannt. Doch damit nicht genug, Frauen wird auch geraten, ihre Partner zu kratzen! Dazu werden ebenfalls mehrere Arten beschrieben wie